„Bist du sicher, dass du …?“
- Ercan Carikci
- 13. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juli
Über Identität, Erwartungen und das Recht, widersprüchlich zu sein
„Bist du sicher, dass du Moslem bist?“ Manchmal klingt eine Frage nach echtem Interesse – und kann sich trotzdem wie ein Zweifel anfühlen.

Oft steht dahinter eine Vorstellung davon, wie jemand zu sein hat: Wie eine „richtige“ Muslima lebt, wie ein „typischer“ queerer Mensch auftritt, wie jemand mit Arbeiterkind-Hintergrund zu denken hat. Und wer nicht in dieses Bild passt, wird plötzlich gefragt: „Bist du dir sicher?“
Doch Identität ist kein Puzzle mit vorgegebenen Teilen. Sie entsteht nicht aus Erwartungen – sondern aus Erfahrungen.
Viele Menschen bewegen sich zwischen verschiedenen Welten: mit Eltern, die unterschiedlichen Religionen angehören. Mit einer queeren Identität und einem religiösen Selbstverständnis. Mit Klassismus Erfahrungen – und trotzdem beruflichem Aufstieg.
Diese Erfahrungen wirken nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Sie überlagern sich, widersprechen sich, ergänzen sich. Und genau das macht sie echt.
In der Forschung nennt man das Intersektionalität: wenn verschiedene Aspekte wie Herkunft, Geschlecht, Religion, sexuelle Orientierung oder soziale Lage sich überkreuzen – und das Leben komplexer machen, als es oft gesehen wird.
Fragen wie „Bist du sicher, dass du …?“ entstehen selten mit böser Absicht. Aber sie spiegeln ein gesellschaftliches Klima, in dem Zugehörigkeit manchmal an bestimmte Vorstellungen geknüpft ist. Wo jemand, der sich zeigt, plötzlich das Gefühl bekommt, sich auch erklären zu müssen.
Das kann verunsichern. Weil es nicht mehr um Neugier geht – sondern um Einordnung. Und wer ständig eingeordnet wird, erlebt Gespräche nicht als Einladung, sondern als kleine Prüfungen.
Dabei ist Identität nichts, das andere bestätigen müssen. Sie ist ein Raum, in dem Menschen sich entwickeln, wachsen, verändern – und auch mal widersprechen dürfen.
Vielleicht ist Identität wie ein Fluss mit vielen Zuflüssen. Von außen wirkt er ruhig. Aber wer in ihm steht, spürt jede Strömung, jede Richtung, jede Temperaturverschiebung.
Was wäre, wenn wir einander weniger einordnen – und mehr zuhören? Wenn wir Widersprüche nicht als Problem, sondern als Teil des Menschseins sehen? Und wenn Zugehörigkeit nicht bedeutet, sich zu rechtfertigen – sondern einfach da sein zu dürfen?




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