Glossar
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Objektifizierung
Objektifizierung beschreibt den Prozess, in dem Menschen ihrer Subjektivität beraubt und auf ein Objekt reduziert werden, etwas, das betrachtet, kontrolliert, genutzt oder bewertet werden kann. Dieser Prozess geschieht nicht zufällig. Er ist eingebettet in gesellschaftliche Machtverhältnisse, die bestimmen, wessen Körper verfügbar gemacht werden, wessen Geschichte ignoriert wird und wessen Schmerz entkoppelt von seiner Quelle erzählt wird.
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In rassistischen Kontexten zeigt sich Objektifizierung etwa in der Reduktion Schwarzer Menschen auf Körperkraft, Hypersexualität oder Bedrohung. In sexistischen Kontexten äußert sie sich in der Zergliederung von Frauenkörpern in Beine, Lippen oder Hüften, in der Instrumentalisierung von Weiblichkeit für Werbung, Dienstleistung oder politische Symbolik. Auch Menschen mit Behinderung, queere Personen oder rassifizierte Männer erleben Formen der Objektifizierung als Projektionsfläche für Angst, Begehren oder Abwertung.
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Objektifizierung ist nicht nur eine Frage der Darstellung, sondern eine Frage der Beziehung. Sie entzieht Menschen den Status als Handelnde. Sie macht sie sichtbar, aber nicht hörbar. Beurteilbar, aber nicht dialogfähig. Sie wirkt in Blicken, in Sprache, in Bildpolitik und in scheinbar neutralen Entscheidungen: Wer wird eingeladen? Wer wird befragt? Wer wird gezeigt und wie?
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In der Awareness Arbeit ist die kritische Auseinandersetzung mit Objektifizierung zentral. Denn oft reproduzieren auch Räume, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, ungewollt dieselben Muster. Betroffene werden als Fallbeispiele präsentiert, ihre Geschichten als Bildungsressource verwendet, ihr Leid als Beweis instrumentalisiert. Die Herausforderung liegt darin, nicht nur über Menschen zu reden, sondern mit ihnen, ohne sie auf ihre Betroffenheit zu reduzieren. Es geht um Beziehung statt Repräsentation. Um Begegnung statt Projektion.
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Objektifizierung zu durchbrechen heißt, Verantwortung zu übernehmen für den eigenen Blick. Und sich zu fragen, ob man einem Menschen gerade zuhört oder ihn gerade benutzt, um sich selbst besser zu fühlen.
Orientalismus
Orientalismus beschreibt ein westliches Denken, das den sogenannten Orient nicht darstellt, sondern erschafft. In dieser Vorstellung erscheint der Orient als fremd, irrational, rückständig und erotisiert – als Gegenbild zum vermeintlich aufgeklärten, modernen Westen. Der Begriff wurde nicht von Edward Said erfunden, aber er hat ihn grundlegend neu interpretiert. In seinem Werk hat er gezeigt, dass die westliche Rede über den Orient keine neutrale Beschreibung ist, sondern ein Ausdruck kolonialer Überlegenheit. Sie schafft Bilder, um Macht zu sichern.
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Orientalismus ist nicht einfach Neugier auf andere Kulturen. Er ist eine Praxis der Beherrschung. Er erlaubt es, Regionen wie den Nahen Osten oder Nordafrika nicht nur zu exotisieren, sondern auch politisch, wirtschaftlich und kulturell zu unterwerfen. Wissen und Fantasie greifen dabei ineinander: Je „anders“ der Orient erscheint, desto selbstverständlicher erscheint die eigene Dominanz.
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Auch heute wirkt orientalisches Denken fort, in Hollywoodfilmen, in Schulbüchern, in sicherheitspolitischen Debatten, in der Frage, ob „der Islam zu uns passt“. Die Muster haben sich verändert, aber die Logik bleibt: Eine komplexe Wirklichkeit wird auf stereotype Bilder reduziert, um Unterschiede zu markieren und Hierarchien zu stabilisieren.
Orientalismus ist deshalb nicht nur ein Blick auf andere, sondern eine Weltsicht. Wer so spricht, stellt sich selbst an die Spitze. Wer so blickt, macht andere zu Objekten. Orientalismus lebt von der Überzeugung, überlegen zu sein und davon, sich selbst nicht hinterfragen zu müssen.
Othering
Othering (deutsch: „Andersmachen“) bezeichnet einen bewussten oder unbewussten Prozess, bei dem Menschen oder Gruppen als „anders“ und nicht zugehörig markiert werden. Dabei wird eine vermeintliche gesellschaftliche Norm gesetzt – beispielsweise „weiß“, „männlich“, „nicht behindert“ oder „heterosexuell“ –, während alle Abweichungen davon besonders hervorgehoben werden. Menschen, die vom Othering betroffen sind, werden dadurch sprachlich und sozial an den Rand der Gemeinschaft gedrängt und oft auf einzelne Merkmale reduziert.
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Othering kann sich in alltäglichen Bemerkungen zeigen, wie etwa „Wo kommst du eigentlich her?“, „Für dein Alter bist du erstaunlich fit“ oder „Du bist aber sportlich – dafür, dass du eine Frau bist.“ Solche Aussagen mögen häufig nicht bewusst ausgrenzend gemeint sein, entfalten aber dennoch eine Wirkung, die Zugehörigkeit infrage stellt und bestehende Hierarchien untermauert.
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Im gesellschaftlichen Kontext trägt Othering dazu bei, Unterschiede nicht als Teil der gemeinsamen Vielfalt zu sehen, sondern als Abweichung von einer unbenannten Norm. In der Bildungs- und Organisationsarbeit wird der Begriff genutzt, um diese Muster sichtbar zu machen und den Blick für inklusive Strukturen zu schärfen.
Ownership
Ownership bedeutet nicht nur Verantwortung zu übernehmen, sondern auch Deutungshoheit zu beanspruchen. Wer hat das Recht, eine Geschichte zu erzählen? Wer bestimmt, was zählt, was fehlt, was falsch ist? In Kontexten von Rassismus, Kolonialismus und anderen Herrschaftsverhältnissen war dieses Recht nie gleich verteilt. Ownership verweist auf genau diese Ungleichverhältnisse: darauf, wer sprechen darf, wessen Erfahrungen geglaubt werden, und wessen Perspektiven systematisch übergangen wurden.
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Betroffene Menschen fordern Ownership, wenn sie sagen: Wir brauchen
keine Sprecher, keine Stellvertretung, sondern Räume, in denen wir selbst sprechen können. Räume, die nicht über uns sprechen, sondern mit uns. Ownership bedeutet nicht, dass andere verstummen müssen. Es bedeutet, dass sie sich zurücknehmen, zuhören, Verantwortung für ihren Einfluss übernehmen und aufhören, die eigenen Deutungen für allgemeinverbindlich zu halten.
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In der Awareness Arbeit ist Ownership zentral. Denn oft werden marginalisierte Menschen nicht als Akteure, sondern als Anschauungsmaterial behandelt. Ihre Geschichten dienen als Lernressource, ihr Schmerz als Beweis. Doch wer von Diskriminierung betroffen ist, trägt nicht nur die Erfahrung, sondern auch die Kosten ihrer Erzählung. Ownership fragt daher: Wer profitiert von welchem Narrativ? Wer kuratiert wessen Trauma? Und wer definiert, wann genug erzählt wurde?
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Ownership ist nicht nur individuell, sondern auch kollektiv. Es geht um die Kontrolle über Bilder, über Begriffe, über Strukturen. Um das Recht, nicht vereinnahmt zu werden. Um das Wissen, dass Empowerment nicht funktioniert, wenn die Bedingungen seiner Artikulation von außen vorgegeben werden.
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Am Ende geht es um Gerechtigkeit. Wer darf sich sicher fühlen, ohne je gefährdet gewesen zu sein? Und wer trägt die Folgen, wenn andere reden?
