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Glossar

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Klassismus

Klassismus bezeichnet die Abwertung, Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen sozialen Herkunft oder Position in der Gesellschaft. Betroffen sind insbesondere Menschen aus Arbeiterfamilien, Erwerbslose, Menschen mit wenig Geld, aus prekären Wohnverhältnissen oder mit Bildungsbiografien, die nicht der bürgerlichen Norm entsprechen.

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Klassismus äußert sich individuell durch Vorurteile, Spott oder soziale Ausgrenzung, wirkt aber vor allem strukturell: durch ungleichen Zugang zu Bildung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, politischer Repräsentation oder kultureller Teilhabe. Er beeinflusst, wer als kompetent, vertrauenswürdig oder bildungsfähig gilt – und wer nicht.

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Klassismus ist mehr als ein soziales Vorurteil. Als Herrschaftsideologie hat er sich historisch mit dem Aufstieg kapitalistischer Gesellschaften verfestigt. Er dient dazu, soziale Ungleichheit zu legitimieren, Armut zu individualisieren und bestehende Machtverhältnisse zu stabilisieren. Menschen aus oberen Schichten profitieren von besseren Ressourcen, Netzwerken und gesellschaftlichem Ansehen, während andere systematisch herabgesetzt, beschämt oder unsichtbar gemacht werden.

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Eine kritische Auseinandersetzung mit Klassismus erfordert, Privilegien sichtbar zu machen, Barrieren abzubauen und Solidarität nicht nur entlang kultureller, sondern auch materieller Ungleichheit zu denken.

kollektive Schuld

Kollektive Schuld bezeichnet die Vorstellung, dass eine gesamte Gruppe für das Unrecht verantwortlich gemacht wird, das von einzelnen ihrer Mitglieder oder von früheren Generationen begangen wurde. Der Begriff wird insbesondere im Zusammenhang mit historischen Verbrechen wie der Shoah diskutiert und ist sowohl ethisch als auch politisch umstritten.

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Im Kern geht es um die Frage: Tragen Menschen Verantwortung, nur weil sie Teil eines Kollektivs sind – etwa einer Nation, einer Religion oder einer Institution? Kritiker:innen warnen vor einer pauschalen Zuschreibung, die individuelle Schuld und Verantwortung verwischt. Befürworterinnen betonen dagegen, dass gesellschaftliche Aufarbeitung nur gelingen kann, wenn auch kollektive Verstrickungen benannt werden – durch Schweigen, Wegsehen oder strukturelle Mitverantwortung.

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Kollektive Schuld ist nicht dasselbe wie persönliche Schuld. Doch in einer Demokratie kann niemand neutral bleiben, wenn es um die Erinnerung an Unrecht, die Weitergabe von Verantwortung und das Ziehen politischer Konsequenzen geht. Wer aus Geschichte lernen will, muss anerkennen, dass Privilegien und Beteiligung oft nicht individuell gewählt, sondern gesellschaftlich hergestellt sind.

Kolonialismus

Kolonialismus bezeichnet ein historisches System politischer, wirtschaftlicher und kultureller Herrschaft, in dem europäische Mächte ab dem 15. Jahrhundert andere Regionen der Welt eroberten, kontrollierten und systematisch ausbeuteten. Ziel war es, Rohstoffe, Arbeitskraft und strategische Vorteile für die koloniale Muttergesellschaft zu sichern. Die Expansion war geprägt von militärischer Gewalt, Unterwerfung, Versklavung und der Enteignung indigener Bevölkerungen.

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Kolonialismus bedeutete mehr als territoriale Kontrolle. Er ging einher mit der Verbreitung eines Weltbildes, das europäische Lebensweisen, Religionen und Werte als überlegen darstellte. Diese Ideologie diente zur Rechtfertigung von Unterdrückung, kultureller Assimilation und Zerstörung lokaler Gesellschaften. Missionierung, Sprach- und Bildungspolitik sowie die Auslöschung von Wissenssystemen waren zentrale Mittel dieser Gewalt.

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Die Folgen des Kolonialismus wirken bis heute nach: willkürlich gezogene Grenzen, die Konflikte hervorrufen; ökonomische Abhängigkeiten zwischen globalem Süden und globalem Norden; sowie tief verankerte Machtverhältnisse, die rassistische und neokoloniale Strukturen aufrechterhalten. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus erfordert deshalb nicht nur historische Aufarbeitung, sondern auch politische Konsequenzen im Hier und Jetzt.

Kritisches Weißsein

Kritisches Weißsein beschreibt einen Reflexionsprozess, in dem weiße Menschen lernen, ihre gesellschaftliche Position in einem rassistischen System zu erkennen, zu hinterfragen und Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es nicht um biologische Merkmale, sondern um die soziale und politische Bedeutung von Weißsein als historisch gewachsener Machtposition.

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Weißsein wurde durch Kolonialismus, Sklaverei und andere Formen systemischer Gewalt zur Norm gemacht – als unsichtbarer Maßstab dessen, was als neutral, objektiv oder zivilisiert gilt. In westlichen Gesellschaften gilt Weißsein oft als unmarkiert, während BIPoC als Abweichung oder „anders“ konstruiert werden. Daraus entstehen Privilegien, die meist unbenannt bleiben, aber konkrete Auswirkungen haben: Wer als weiß gelesen wird, wird seltener bei der Wohnungssuche benachteiligt, seltener von der Polizei kontrolliert oder auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert.

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Diese Vorteile beruhen nicht auf persönlicher Leistung, sondern auf struktureller Ungleichheit. Kritisches Weißsein bedeutet, diese Ungleichheit anzuerkennen, nicht zu relativieren und daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Dazu gehört, marginalisierte Perspektiven zu unterstützen, eigene Privilegien zu reflektieren und Macht aktiv zu teilen. Kritisches Weißsein ist keine Haltung, die man einmal erreicht, sondern ein andauernder Lernprozess, der unbequem, aber notwendig ist.

Kultur

Kultur bezeichnet die Gesamtheit von Bedeutungen, Gewohnheiten, Symbolen, Sprachen, Werten und Praktiken, die das Leben in einer Gemeinschaft strukturieren. Sie zeigt sich in Alltagsroutinen genauso wie in Erziehungsstilen, in Umgangsformen genauso wie in kollektiven Überzeugungen. Kultur ist kein Besitz und keine feste Eigenschaft, sondern ein sozialer Prozess, sie entsteht im Miteinander, im Wandel, im Streit, im Austausch.

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Häufig wird Kultur verwendet, um Unterschiede zwischen Menschen zu erklären. Doch in diskriminierungskritischen Zusammenhängen ist Vorsicht geboten: Wer Verhalten oder Haltungen pauschal mit „der Kultur“ begründet, individualisiert nicht nur strukturelle Probleme, sondern stabilisiert auch Stereotype. Die Rede von Kultur kann so schnell zur Verschleierung von Rassismus, Sexismus oder Klassismus werden.

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Zudem ist jede Kultur von Machtverhältnissen geprägt. Wer definiert, was als „normal“, „zivilisiert“ oder „angemessen“ gilt, verfügt über Deutungsmacht. Deshalb ist es zentral, Kultur nicht als statisch oder abgeschlossen zu verstehen, sondern als ein Aushandlungsraum – von Zugehörigkeit, von Identität, von Sichtbarkeit.

Kulturalisierung

Kulturalisierung beschreibt die Praxis, Menschen auf ihre vermeintliche „Kultur“ zu reduzieren – als ob Herkunft, Religion, Sprache oder „Mentalität“ ausreichen würden, um Verhalten, Werte oder Entscheidungen zu erklären. Statt soziale, politische oder ökonomische Kontexte zu berücksichtigen, wird die kulturelle Zugehörigkeit zur Hauptkategorie gemacht. Aus Individuen werden dann bloß noch „die Muslime“, „die Geflüchteten“, „die Südländer“.

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Kulturalisierung tut so, als seien Menschen festgelegt durch Tradition, Familie oder Religion: unveränderbar, homogen, vorhersehbar. Sie ersetzt Analyse durch Zuweisung und macht damit Unterschiede scheinbar erklärbar, wo in Wahrheit Machtverhältnisse, Ausschlüsse oder soziale Ungleichheit eine Rolle spielen. Wer kulturell erklärt, was strukturell ist, verschleiert Ursachen und stabilisiert Vorurteile.

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Besonders perfide wirkt Kulturalisierung, wenn sie als scheinbar wohlmeinende Erklärung auftritt, z.B. im Bildungssystem, in Behörden oder sozialen Berufen. Sie nimmt Menschen Handlungsspielräume, reduziert sie auf Klischees und erzeugt genau die Distanz, die sie vorgibt zu überbrücken. Diskriminierung beginnt oft genau hier: wenn die Frage nach dem „Wo kommst du her?“ nicht Neugier, sondern Sortierung meint.

Kulturalismus

Kulturalismus ist die Vorstellung, dass Kultur der entscheidende Faktor für das Verhalten von Menschen sei. Er erklärt soziale Unterschiede, Konflikte oder gesellschaftliches Scheitern nicht über Machtverhältnisse, Diskriminierung oder ökonomische Bedingungen, sondern über vermeintlich kulturelle Prägungen. Kultur erscheint dabei als statisch, geschlossen und bestimmend, als etwas, das Menschen „mitbringen“ und das sie dauerhaft festlegt.

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Diese Denkweise ist nicht neu. Sie setzt alte koloniale Narrative fort, in denen bestimmte Gruppen als „zurückgeblieben“, „familienorientiert“, „nicht demokratiefähig“ oder „bildungsfern“ konstruiert wurden, alles angeblich aus kulturellen Gründen. In Wirklichkeit werden so strukturelle Ungleichheiten individualisiert und rassifizierte Zuschreibungen als kulturelle Fakten getarnt.

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Kulturalismus ist eine Ideologie und bildet die Grundlage für Kulturalisierung: also für konkrete gesellschaftliche Prozesse, in denen Menschen auf ihre vermeintliche Kultur reduziert werden. Wenn z. B. muslimische Männer pauschal als „frauenfeindlich“ oder osteuropäische Familien als „bildungsfern“ dargestellt werden, ist das Kulturalisierung – eine Praxis, die aus kulturalistischen Denkweisen hervorgeht.

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Kulturalismus wirkt besonders perfide, weil er vorgibt, „nur Kultur zu beschreiben“, in Wahrheit aber Menschen essentialisiert, Unterschiede naturalisiert und gesellschaftliche Machtverhältnisse unsichtbar macht. Wer Kultur zur Erklärung macht, wo eigentlich Diskriminierung, Armut oder Exklusion analysiert werden müssten, verschiebt die Verantwortung – weg von Strukturen, hin zu den Einzelnen.

Kulturelle Aneignung

Kulturelle Aneignung bezeichnet die Übernahme von Symbolen, Kleidungsstücken, Frisuren, Musikstilen, Praktiken oder anderen Ausdrucksformen einer Kultur durch Menschen, die dieser Kultur nicht angehören – meist aus einer gesellschaftlich dominanten Position heraus. Entscheidend ist dabei nicht das Ob der Aneignung, sondern das Wie und unter welchen Machtverhältnissen. Wenn kulturelle Elemente aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst, kommerzialisiert oder als modisches Accessoire genutzt werden, ohne die Geschichte und Bedeutung dahinter zu kennen oder anzuerkennen, entsteht ein Problem. Kulturelle Aneignung ist kein Austausch auf Augenhöhe, sondern oft eine Fortsetzung kolonialer Muster: das Entnehmen, was als „exotisch“ gilt, während Menschen, die dieser Kultur angehören, gleichzeitig abgewertet, rassifiziert oder ausgeschlossen werden.

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So können Frisuren, Kleidung oder religiöse Zeichen, die bei rassifizierten Personen stigmatisiert oder verboten werden, bei weißen Menschen plötzlich als kreativ oder avantgardistisch gefeiert werden. Kulturelle Aneignung wird deshalb nicht nur als geschmacklos, sondern als verletzend empfunden, weil sie Differenz konsumiert, ohne Diskriminierung mitzudenken. Kritik an kultureller Aneignung heißt nicht, dass kultureller Austausch grundsätzlich falsch ist. Es geht um Bewusstsein, Kontext, Respekt und darum, wie Macht wirkt. Wer übernimmt was, aus welchem Interesse, mit welcher Haltung? Und wer bleibt dabei unsichtbar?

Kulturrassismus

Kulturrassismus ist eine Form von Rassismus, bei der Menschen nicht über biologische Merkmale, sondern über angeblich unüberbrückbare kulturelle Unterschiede abgewertet werden. Er ersetzt die alte Vorstellung von „Rassen“ durch die Behauptung, Kulturen seien so verschieden, dass ein friedliches oder gleichberechtigtes Zusammenleben unmöglich sei. Dabei wird oft argumentiert, bestimmte Gruppen seien „nicht integrierbar“, „kulturfremd“ oder „mit westlichen Werten unvereinbar“.

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Kulturrassismus beruht nicht auf Unkenntnis, sondern auf der gezielten Konstruktion von Differenz, mit dem Ziel, Zugehörigkeit zu reglementieren und Ausschlüsse zu legitimieren. Er greift auf koloniale und orientalistische Bilder zurück und aktualisiert sie im modernen Gewand: durch Medienrhetorik, politische Narrative und alltägliche Stigmatisierungen. Häufig trifft Kulturrassismus Menschen muslimischen Glaubens, Rom*nja, Jüdinnen und Juden, Menschen mit arabischer oder afrikanischer Herkunftoder schlicht alle, die nicht als Teil der „Mehrheitskultur“ gelten.

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Wichtig ist: Kulturrassismus funktioniert nicht ohne Macht. Er zeigt sich in Gesetzgebung, Schulbüchern, Talkshows, Behördenentscheidungen und Polizei-berichten und schafft reale Ungleichheit, selbst wenn er sich auf „kulturelle Unterschiede“ beruft. Wer ihn ignoriert, verharmlost strukturellen Rassismus unter dem Deckmantel kultureller Inkompatibilität.

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